Drucken

21.03.1986
Kurhaus - Theatersaal, Bad Ischl


Gato Barbieri: tenorsax (AG)
Frank Ferucci: keyboards (USA)
Lincoln Goines: bass (USA)
Bernhard „Pretty“ Prudie: drums (USA)
Rafael de Jesus: percussion (PRI)


Gato Barbieris Nonstop-Jazz
Der Tenorsaxophonist Gato barbieri verließ vor 20 Jahren seine argentinische Heimat und eilt seitdem von Erfolg zu Erfolg. Im vollbesetzten Bad Ischler Kurhaus begeisterte diese weltweite Jazzattraktion das Publikum mit einer 100 Minuten langen Nonstop-Aktion. Über alle erdenklichen Rhythmen Südamerikas breiten sich großflächig die Melodienlinien des Saxophons - leider allzu laut.
Kronenzeitung, 23.03.1986

Gato Barbieri – glanzloser Star
450 Zuschauer erlebten im Bad Ischler Kurhaus Auftritt eines „Jazz-Giganten“
Gato Barbieri – ein Name, der nicht nur Jazz-Liebhaber aufhorchen läßt: Ein Musiker, der jahrelang kein Konzert mehr in Österreich gab und dessen Auftritt in Bad Ischl daher für viele ein Pflichttermin war, alleine schon deshalb, weil man diesen argentinischen Musiker zumindest einmal gesehen haben muß. Aber auch, um zu wissen, in welche Richtung sich dieser in den sechziger Jahren führende Free-Jazzer bewegt hat. Was er in den siebziger Jahren gemacht hat, ist bekannt: Er wendete sich der Fusion-Musik zu und war auch hier einer der bekanntesten Vertreter. Zu dieser Zeit begann auch die Vermarktung seines Namens – und daran hat sich bis heute nichts geändert. Und leider hat sich musikalisch auch nicht viel geändert – jeder Stillstand ist ein Rückschritt. Gato Barbieri dürfte schon längere Zeit stillstehen, sonst würde dem Konzert nicht die Überzeugungskraft, die Spannung, die Intensität (und die Länge) gefehlt haben.
Daß nicht jeder der 450 Besucher den gleichen Eindruck hatte, ist klar. Schließlich fuhren einige Fans über hundert Kilometer, zahlten eine Menge Geld und wollten von ihrem Liebling nicht enttäuscht werden. Deshalb herrschte gleich zu Beginn des Konzertes eine ausgezeichnete Stimmung, die aber so nach und nach an der Kälte Barbieris zerbrach. Er kümmerte sich nicht um die Leute, die mithalfen, seine Gage zu finanzieren. Er ging kein einziges Mal aus sich heraus und wollte wahrscheinlich so schnell als möglich wieder zurück nach Wien in sein Hotel. Daher war das Konzert schon zu Ende, als das Publikum sich zur Pause erheben wollte. Zwei Draufgaben wurden doch noch gegeben, die für Gato aber nur Pflicht waren – ganz im Gegensatz zu seinen Begleitmusikern. Die hätte am liebsten noch allein, ohne ihren „Boß“ weitergespielt, was zwar aus verschiedenen Gründen nicht ging, tags darauf in kleinerem Rahmen aber doch zustande kam.
Frank Ferucci (keyboards), Rafael de Jesus (percussion), Lincoln Goines (Baß) und der famose Schlagzeuger Bernhard „Pretty“ Prudie nahmen die Gelegenheit, daß sie eben nur die Begleitgruppe eines „Stars“ sind, gelassen hin und hatten untereinander großen Spaß während des Konzertes. Die Tatsache, daß sie sich trotz der auferlegten solistischen Maulkorbes in der beschränkten Freiheit dennoch recht wohl fühlten, spricht für dieses Quartett.
Und das Positivste an diesem Konzert spielte sich mit diesen Musikern einen Tag später im Lokal der Jazzfreunde Bad Ischl, im „more hot“, ab. Denn hier wollten diese Vier zeigen, daß sich auch solistisch einiges zu bieten haben. Gratis, für alle die es noch rechtzeitig erfuhren, gaben sie am Samstag eine „Seance“, wie sie sonst nur in bekannten Jazzlokalen zustande kommt. Auf im letzten Moment zusammengetragenen Instrumenten wurde drauflos improvisiert, sang „Pretty“ Purdie einen Blues, benützte einen Kochlöffel als „drumstick“, mit einem Wort, es wurde lebendige, fröhliche und ehrliche Musik gespielt. Und vom Publikum ging eine Begeisterung aus, die das Spiel der Musiker wiederspiegelte.
So etwas stellt man sich unter Jazz vor, weil solche Aktionen nur im Jazz möglich sind. Bei einem Rockkonzert erwartet man sich keine spontanen Aktionen, auch nicht bei einem klassischen Konzert. Hier haben die „Stars“ auch ihre Berechtigung.
Im Jazz wird aber Unvorhergesehenes verlangt. Sei es durch die Interpretation eines musikalischen Stückes oder das spontane Reagieren auf das Publikum, was ja bei verschiedenen Konzerten oft ein wichtiger Partner der Musik ist.
Gato Barbieri will davon scheinbar nichts mehr wissen. Vielleicht ist er mehr auf sein Star-Image konzentriert als auf seine musikalische Entwicklung und – bei den Konzerten – auf die Reaktion des Publikums.
Sollte sich dieser argentinische Saxophonist, der von seinem Können her sicher zu den Besten der Welt zählt und der mit seinem voluminösen, ächzenden Ton seinem Spiel eine sehr eigene Note verliehen hat, sollte er sich nicht seiner wirklichen Aufgaben als Jazzmusiker erinnern, wird von seinem Stern eines Tages nur noch der Glanz vergangener Tage übrig bleiben.
A. SAVEL – SALZKAMMERGUT ZEITUNG - 27. MÄRZ 1986